Heinrich schrieb:Heinrich schrieb:...
Und so scheint sich eine Kriegswende anzudeuten, denn der Nachschub auf russischer Seite für weiteres Kampfgerät, Munition und Einheiten, aber auch Verpflegung, scheint überhaupt nicht so zu funktionieren, wie man es erwarten sollte. Bei den hohen Verlusten und der (auch in Folge des Nachschubmangels) eher weiter sinkenden Kampfmoral, begeben sich immer mehr russische Einheiten in einen Stellungskrieg, was bedeutet, dass die Einheiten keinen Vormarsch mehr machen können und stattdessen das bisher eroberte Gebiet verteidigen müssen. Gleichzeitig mehren sich die Nachweise kleiner Gegenoffensiven der ukrainischen Armee, die mindestens effektive Nadelstiche sind und zu einer erhöhten Verunsicherung auf russischer Seite führen dürfte. Wenn weiter der Nachschub auf russischer Seite unterbrochen werden kann, gelangen die vorgerückten russischen Einheiten immer stärker unter Druck und drohen in Teilen zerschlagen zu werden.
Der 26. Kriegstag in der Ukraine.
Bisher sind meine Einschätzungen zur militärischen Lage offenbar nicht so schlecht gewesen. Inzwischen wird von diversen Quellen gemeldet, dass sich die russischen Einheiten an fast allen Kriegsschauplätzen in einen Stellungskampf begeben haben. Russische Geländegewinne sind nur noch die Ausnahme und dann auch nur noch von geringer Ausdehnung. Nun beginnt eine militärische Konsolidierung auf russischer Seite, was bedeutet, dass stark dezimierte Einheiten mit anderen zusammengeführt werden, um die eroberten Gebiete behaupten zu können. Eine operative Angriffskriegführung durch die russische Armee wird dadurch fast unmöglich und die Zielsetzung kann derzeit nur sein, Zeit zu gewinnen, um einen Nachschub an Einheiten und Waffen, Munition und Verpflegung in die Kampfgebiete zu organisieren. So dürften die Friedenverhandlungen mit der Ukraine nicht viel mehr sein, als eine Möglichkeit, Zeit zu gewinnen. Eine wirklich ernsthafte Verhandlung kann ich auf russischer Seite noch nicht erkennen, vielleicht werden wenigstens einige zivile Evakuierungen und humanitäre Versorgungsgarantien für die eingeschlossenen Zivilisten in diversen Städten in den nächsten Tagen vereinbart werden können, quasi als Pfand für mehr Zeitgewinn und als demonstrierte "gute Absichten".
Und bei den Ukrainern?
Auch die ukrainische Armee wird sich reorganisieren müssen, denn auch auf dieser Seite gab es hohe Verluste. Zum Verschnaufen wird man die ukrainische Armee aber nicht kommen lassen, denn die Angriffe über Kurz- und Mittelstreckenraketen aus der Luft und von der Artillerie wird von russischer Seite sicher weiter verstärkt werden. So wird der Beschuss der belagerten Städte unvermindert weiter gehen und es wird viele zivile Opfer geben. Die Frage ist aber, ob die Taktik aufgehen wird, mit dem andauernden Beschuss die Kampfmoral der ukrainischen Armee zu schwächen.
Wie wird es absehbar in den nächsten Tagen weiter gehen?
Da die russischen Einheiten am Boden allmählich in die Defensive gezwungen werden und den Vorteil der Mobilität bereits verlieren, können sich ukrainische Einheiten immer besser auf längere Zeit stehende russische Verbände einstellen und entsprechend immer effektiver attackieren. Da der Nachschub stockt auf russischer Seite, werden die Einheiten nach und nach aufgerieben, was vornehmlich durch den Verlust gepanzerter Fahrzeuge erreicht werden kann. Um die Verluste bei den russischen Einheiten besonders rasch und besonders hoch werden zu lassen, können kleinere ukrainische Einheiten (abseits der festen Frontlinien der Stellungsschlachten) mit mobilen Panzerabwehrwaffen Überraschungsangriffe durchführen und aus verschiedenen Richtungen die feststehenden russischen Einheiten überfallartig angreifen, gepanzerte Fahrzeuge ausschalten und sich schnell wieder zurück ziehen. Dazu müssen die ukrainischen Verteidigungslinien nicht geschwächt werden, es gibt mehrere zehntausend ukrainische Reservisten, die für solche Aktionen zur Verfügung stehen oder aber (sinnvoller) die Verteidigungslinien stützen können, um kampferprobte Soldaten dadurch für Spezialaufgaben frei zu machen.
Putin dagegen hat inzwischen ein viel größeres Problem bekommen, da durch den hohen Verlust an Soldaten und Kriegsmaterial es unabdingbar wird, frische Einheiten in die Ukraine zu entsenden. Doch das geht nicht so einfach, denn durch den Abzug der bisher in der Ukraine eingesetzten Einheiten aus den angestammten Standorten in ganz Russland sind diese angestammten Einheiten bereits reichlich ausgedünnt. Es bräuchte also neue Soldaten, um die Lücken an den diversen russischen Standorten aufzufüllen. Das aber würde eine Mobilmachung bedeuten und das kann Putin wegen seiner Leugnung des Kriegstatbestands nicht anordnen. So wird er abwarten müssen bis in den April hinein, denn dann erst werden die neuen Rekruten traditionell in Russland eingezogen. Dann erst werden ausgebildete Soldaten wieder in großer Zahl frei, die zusammen mit einem Anteil neuer Rekruten dann neue Kampfverbände bilden können. Eine ziemlich lange Durststrecke für die russischen Einheiten, die bereits in der Ukraine sind und sich inzwischen mit einem Stellungskrieg konfrontiert sehen. Bis dahin kann viel passieren und es spricht einiges dafür, dass viele russischen Einheiten verloren gehen könnten. Ob Putin diese billigend opfert um dann im April eine neue Offensive zu starten, scheint nicht mal so abwegig, wenn man bedenkt, wie gleichgültig ihm Opfer bisher waren. Er wird das dann irgendwie argumentieren, so wie bisher auch.
Gleichwohl kann Putin den Krieg nicht dauerhaft vor seinem Volk verheimlichen. Das weiß er ganz sicher auch. Er wird sich bestimmt schon einen Plan B oder C gemacht haben, wie er das dem Volk beibiegen wird...
Der 52. Kriegstag in der Ukraine, es will kein Ende nehmen...
Es erschüttert mich, dass es einfach keine Friedensinitiative durch Putin gibt. Was ich oben im Beitrag vom 21. März geschrieben habe ist heute Realität. Die russischen Streitkräfte haben den Norden der Ukraine fluchtartig verlassen und sortieren sich neu hinter der russischen Grenze. Im Osten der Ukraine werden nun alle verfügbaren Kräfte zusammengezogen und es steht ein neuer Angriff bevor, der von Osten und Süden her ukrainisches Gebiet erobern soll...
In Russland wurde die Rekrutierung junger Soldaten Anfang April forciert. Die Rekruten des Vorjahres werden dadurch frei für den Einsatz im Kriegsgebiet und für die Logistikaufgaben im russischen Inland für diesen Krieg. Die zerschlagenen oder stark angeschlagenen Einheiten, die aus dem Norden der Ukraine abgezogen wurden, werden nach und nach neu strukturiert, aufgefüllt mit neuen Soldaten, aufgerüstet mit neuen Waffen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber die Zeit spielte in dieser Phase bis jetzt für Putin. Die getöteten und verletzten Soldaten zu ersetzen dürfte nicht so schwer sein, jedoch ist der Verlust an Waffen und schwerem Gerät nur mit erheblichem Aufwand auszugleichen - und mit einem Aderlass an allen russischen Militärstandorten von Westrussland bis zum äußersten Osten des Riesenreiches. Das alles benötigt mehr Zeit und eine gewaltige logistische Planung. So wird Putin - wenn er nicht das nächste Desaster heraufbeschwören will - noch einige Tage warten müssen mit seinem Großangriff aus dem Osten und Süden der Ukraine. Doch nun beginnt die Zeit wieder gegen Putin zu laufen, denn die ukrainische Armee hat inzwischen die Verteidigungslinien zum Osten und Süden hin schon gut aufgebaut und verstärkt diese weiter - nun auch mit neuen militärischen Waffen aus dem Westen. Je länger die Vorbereitung der russischen Streitkräfte benötigt, umso stärker wird die Befestigung der Verteidigungslinien der ukrainischen Armee werden. Das bedeutet im Ergebnis, dass immer mehr russische Soldaten benötigt werden für eine erfolgreiche Angriffsoperation. Und da sind enge Grenzen gesetzt, denn Putin hat aktuell nicht viel mehr als 200.000 Soldaten zur Verfügung, wovon rund 50.000 sich noch in der Phase der Neustrukturierung und Neubewaffnung befinden. So hätte er für eine kurzfristige Angriffsstrategie derzeit nur rund 150.000 Soldaten maximal zur Verfügung. Auf ukrainischer Seite stehen an den Verteidigungslinien rund 300.000 Soldaten. Trotz der waffentechnischen Überlegenheit würde ein Angriff ohne die 50.000 Soldaten in Neustruktur einem geplanten Desaster gleichkommen, denn die Verluste wären extrem hoch und schnell unterschreitet die Sollzahl an Waffen und Soldaten das mindestens Notwendige für die Eroberung und Sicherung von großen ukrainischen Gebieten...
So wird es vermutlich - wegen der Ungeduld bei Putin und seiner Not endlich Erfolge zu erreichen - zu einer sehr starken Konzentration seiner Einheiten kommen, die mit geballter Kraft einen Vorstoß aus der Mitte der Ostukraine auf die ukrainischen Verteidigungslinien westlich davon führen werden. Ein Angriff aus dem Norden der Ostukraine nach Westen oder Süden hin erscheint wenig sinnvoll und schon aufgrund der schlechten Infrastruktur in diesem Gebiet kaum erfolgsversprechend. Zwar hat man auf Satellitenbildern im Norden der Ostukraine längere Militärkonvois gesichtet mit rund 800 Militärfahrzeugen (davon rund 350 Kampfpanzer), doch diese bewegen sich offenbar mehr nach Süden, also in Richtung Mitte der Ostukraine. Dort dürften die Einheiten konzentriert werden für einen massiven Vorstoß nach Westen.
Eine zweite Option ist ein paralleler Vorstoß aus dem Süden der Ostukraine durch russische Einheiten, die über die Krim vorgedrungen sind. Mit diesem parallelen Angriff würden viele ukrainische Einheiten gebunden werden, die dann für den Hauptvorstoß nicht zur Verteidigung zur Verfügung stehen könnten.
Doch auch hier gilt, dass der Angreifer eine deutliche Übermacht haben muss, um nicht zu scheitern. Für die russischen Operationen ist es bedeutsam, die Luftüberlegenheit über der Krim und dem angrenzenden Seegebiet zu erhalten. Nur mit dieser Überlegenheit kann verhindert werden, dass der entscheidende Nachschub für die anstehende russische Offensive aufrecht erhalten werden kann. Man bedenke: aller Nachschub für die russischen Kräfte im Süden der Ukraine wird über die Krim realisiert, und hier gibt es drei entscheidende Schwachpunkte: vorne an die neue große Brücke im Osten der Krim, ohne sie geht im Süden nichts mehr! Dann die Luftüberlegenheit durch die russische Marine im Schwarzen Meer vor Odessa. Und schließlich die wenigen größeren Brücken von der Krim auf das ukrainische Festland.
Und mit diesem Hintergrund lässt sich nun die Zerstörung des russischen Flaggschiffs einordnen, denn dieses Schiff war ganz überwiegend der Garant für die Luftüberlegenheit der Krim und der Küstenlinien. Es gibt dafür kein Ersatz-Schiff! Und das bedeutet, dass für ukrainische Drohnen oder Kampfhubschrauber sogar der Weg bis zur großen Brücke im Osten der Krim nicht mehr vollständig versperrt wäre. Die Zerstörung dieser einen Brücke würde Russland in größte Not versetzen können und die Offensivpläne sehr stark gefährden können. Bei einem ukrainischen Gegenschlag auf den Süden und Südosten würden viele russischen Einheiten von der Versorgung abgeschnitten und isoliert werden. Es würde zum Desaster kommen für Putins Armee, denn wenn parallel der Hauptvorstoß seiner Streitmacht aus der Mitte der Ostukraine nach Westen geführt wurde, dann verschließt sich durch einen gezielten Gegenangriff der ukrainischen Armee auf den Süden und Südosten der Front in der Folge auch der Rückraum in der Ostukraine, da diese dann aus Süden her unter ukrainisches Feuer geraten würde. Es würde die Zerschlagung der Hauptstreitmacht der russischen Armee zur Folge haben...
Alles ist natürlich nur strategische Spekulation von mir, so wie es auch am 21. März war.
Was die ukrainische Armee nun dringend benötigt, sind schwere Waffen für strategische Gegenoffensiven. Panzer und Haubitzen, aber auch Hubschrauber und Drohnen. Ohne diese Option wird die Offensive der russischen Streitkräfte irgendwann auch zum Erfolg führen, wenn Putin nur immer wieder frische Kräfte und Material nachführen kann.
Kurzfristig sind solche Waffen nicht einfach so verfügbar in dem Umfang, wie es benötigt würde. Entscheidend aber wären ganz kurzfristig Waffen, die es ermöglichen, die große Brücke im Osten der Krim zu zerstören. Die Reichweite müsste also 250 km überschreiten, was einige Drohnen schaffen oder aber bestimmte Raketenarten. Durch den Verlust des Flaggschiffes ist die russische Flugabwehr zwar nicht blank, aber entscheidend geschwächt und voller Lücken. Man wird sich beeilen, das zu ändern...